Fallvorstellung
Die 34-jährige Frau Nowak, IIG/IP, stellt sich bei ET+6 mit spontaner Wehentätigkeit in deiner Klinik vor. Ihr erstes Kind wurde mittels Vakuumextraktion aufgrund eines pathologischen CTG geboren. In der Vorgeschichte ist ein seit 2 Jahren in Remission befindender Morbus Crohn bekannt. Die Hebamme führt umgehend eine geburtshilfliche Tastuntersuchung durch und legt die Schwangere ans CTG an. Bei der Tastuntersuchung zeigt sich: MM 3 cm geöffnet, Cervix mediosakral, pralle Vorblase.
Aufgrund sehr starker Wehenschmerzen und auf Wunsch von Frau Nowak erfolgt 45 min nach Beginn des CTG die Anlage einer PDA. Nach weiteren 3 h wird Frau Nowak erneut vaginal untersucht: MM 5–6 cm, mediosakral, mäßig straff, VT dem Beckeneingang aufgesetzt, pralle Vorblase.
Frage 1
Beurteile das letzte CTG. Benutze den FIGO-Score.
Antwort 1
- FIGO N (normales CTG)
- Baseline: Initial 145 bpm, im Verlauf 150 bpm
- Oszillation: Normal, >5 und <25 bpm
- Keine Dezelerationen
- Akzelerationen
- Sporadisch
- Kontraktionen
- Vorhanden
Zusatzfragen
Was hat sich im 3. CTG im Vergleich zu den ersten CTGs verändert?
Sind die Wehenabstände ausreichend für die fetale Erholung?
Der hiesige Cycling-Verlust deutet auf eine fetale Stresssituation hin! Diese bildet der FIGO-Score jedoch nicht ab, da hier lediglich die Oszillationsamplitude bewertet wird.
Frage 2
Was sind die Risikofaktoren für diese Geburt?
Antwort 2
- Terminüberschreitung (ET+6)
- PDA-Anlage
Mit zunehmender Plazentaalterung steigt das Risiko für eine relative uteroplazentare Insuffizienz! Das Risiko für einen IUFT steigt dabei ab ET exponentiell an, weshalb ab ET+10 die Geburtseinleitung eine Soll-Empfehlung in der S2k-Leitlinie Geburtseinleitung von 2020 ist.
Bei einer PDA werden Wehen weniger wahrgenommen und das aktive Mitschieben kann erschwert sein! Außerdem ist die mütterliche Mobilität reduziert und der maternale Blutdruck kann abfallen, was zu einer Minderperfusion der Plazenta (akute Plazentainsuffizienz) führen kann.
Zusatzfrage
Stellt ein Morbus Crohn ein Risiko für den Schwangerschaftsverlauf dar?
Frage 3
Liegt hier eine Hypoxie vor? Wenn ja, welche?
Antwort 3
- Ja
Es handelt sich um eine langsam entstehende, kompensierte Hypoxie!
Zusatzfrage
Was kommt differenzialdiagnostisch bei Baseline-Anstieg außer hypoxischem Stress noch in Betracht?
Antwort 4
- Zuwarten
Aktuell besteht bei gutem Geburtsfortschritt und Zweitgebärender kein Handlungsbedarf!
Frage 5
Welche Veränderungen im CTG erwartest du bei zunehmendem hypoxischen Stress?
Antwort 5
- Durch Katecholaminausschüttung
- Weiterer Baseline-Anstieg
- Weniger Wehenpausen
- Übergang zur Dekompensation
- Eingeengte Oszillation
- Flache Dezelerationen
Weiterer Geburtsverlauf
2 h später (Markierung 1 im 1. CTG) zeigt die vaginale Tastuntersuchung durch die Hebamme keinen weiteren Geburtsfortschritt, sodass ihr 15 mL/h Oxytocin verabreicht. Nach einer guten halben Stunde (Markierung 2 im 2. CTG) ist der Muttermund auf 7 cm eröffnet, zentriert und straff. Die Vorblase ist prall. Der Kopf befindet sich fest im Beckeneingang. Aufgrund des fehlenden Geburtsfortschritts entscheidet ihr euch für eine Amniotomie. Weitere 1¼ h später (kurz nach Ende des 3. CTG), ist der Muttermund vollständig geöffnet, der kindliche Kopf in der Interspinalebene und es besteht ein guter Druck ins Becken bei den Kontraktionen. Die Körpertemperatur liegt bei 37,8 °C.
Frage 1
Welche Risikofaktoren für die Geburt kommen jetzt hinzu?
Antwort 1
- Oxytocingabe
- Subfebrile Temperatur
Das Oxytocin erhöht die Wehenfrequenz, Wehenstärke und den Grundtonus des Uterus! Zudem verkürzt es die Wehenpausen, wodurch es zu deutlich mehr hypoxischem Stress kommt.
Da das Kind eine mind. 1 °C höhere Temperatur hat als die Mutter, handelt es sich definitionsgemäß schon um Fieber. Es hat also einen höheren O2-Bedarf als bei normaler Temperatur, erhält jedoch bei einer maternalen Infektion weniger Sauerstoff. Die Mutter verbraucht mehr O2 und auch die Plazenta stellt bei einer Infektion durch die angeschwollenen Zotten weniger Sauerstoff zur Verfügung (längere Diffusionsstrecke). Somit liegt ein Ungleichgewicht an O2-Angebot und -Nachfrage zu Ungunsten des Kindes vor. Auch wenn das an dieser Stelle noch kein Problem darstellt, sollte man es wahrnehmen. Es ist wichtig, die Wehenpausen ausreichend lang zu halten, um eine gute fetale Oxygenierung zu gewährleisten. Die Kombination aus Hypoxämie/Azidose und Infektion erhöht das Risiko für einen nachhaltigen Organschaden um den Faktor 76 (Daten für hypoxisch-ischämische Enzephalopathie).
Zusatzfragen
Ab welchem Bishop-Score kann eine Amniotomie durchgeführt werden?
Sollte eine Amniotomie auch durchgeführt werden, wenn der Kopf nicht fest auf dem Beckeneingang sitzt?
Zu welcher Komplikation kann es bei einer Amniotomie kommen?
Frage 2
Beurteile das letzte CTG. Benutze den FIGO-Score.
Antwort 2
- FIGO P (pathologisches CTG)
- Baseline: Initial 165 bpm, dann Anstieg auf 175 bpm
- Oszillation: Normal, >5 und <25 bpm
- Variable Dezelerationen
- Akzelerationen
- Sporadisch
- Kontraktionen
- Unregelmäßig, alle 2–7 min
Zusatzfragen
Beurteile das Cycling.
Frage 3
Warum könnte es zu dem Baseline-Anstieg gekommen sein? Erkläre deine Vermutung(en).
Antwort 3
- Katecholaminausschüttung durch
- Hypoxischen Stress
- Infektion
Beim hypoxischen Stress werden Katecholamine ausgeschüttet, welche die fetale Herzfrequenz ansteigen lassen! Alternativ könnten diese auch durch eine Infektion ausgeschüttet worden sein. Ein Hinweis hierfür ist die subfebrile Temperatur der Mutter.
Antwort 4
- Basaltonus erhöht
- Wehenpausen teilweise zu gering
Antwort 5
- Reduktion von Oxytocin
Da es unter der Gabe von Oxytocin zu einem guten Geburtsfortschritt kam und das Kind Anzeichen einer anhaltenden kompensierten Hypoxie zeigt, sollte das Medikament reduziert oder ganz ausgeschlichen werden! In der Austreibungsperiode ist durch die intrinsisch erhöhte Oxytocin-Ausschüttung häufig keine weitere Zugabe von Oxytocin mehr notwendig.
Geburt
Frage 1
Beurteile das CTG. Benutze den FIGO-Score.
Antwort 1
- FIGO P (pathologisches CTG)
- Baseline: 175 bpm
- Oszillation: Normal, >5 und <25 bpm
- Repetitive variable Dezelerationen Am ehesten späte Dezerationen. Schwer beurteilbar bei schlechter Ableitung
- Akzelerationen
- Keine
- Kontraktionen
- Viele, alle 2–3 Minuten
Frage 2
Welchen APGAR-Score und pH-Wert erwartest du? Begründe deine Antwort.
Antwort 2
- APGAR-Score: Gut, bspw. 9/10/10
- pH-Wert: Gut, >7,20
Auch wenn das Kind hypoxischem Stress ausgesetzt war, so wurde dieser gut kompensiert und es gab nie Hinweise auf eine Dekompensation!
Frage 3
Was wären Hinweise auf eine Dekompensation bei dieser Form der Hypoxie?
Antwort 3
- Abflachen von zuvor tiefen Dezelerationen
- Eingeengte Oszillation
- Stufenweiser Abfall der Baseline
Frage 4
Welche Pathologien liegen den in Antwort 3 aufgeführten CTG-Veränderungen zugrunde?
Antwort 4
- Abflachen von zuvor tiefen Dezelerationen: Fehlende Funktion des Reflexbogens vom Hirnstamm zum Herzen, der N. vagus kann keine Dezeleration mehr auslösen
- Eingeengte Oszillation: Minderperfusion des Hirnstammes
- Stufenweiser Abfall der Baseline: Minderperfusion des Myokards
Durch die Hyperkapnie werden Chemorezeptoren aktiviert, die wiederum über die Medulla oblongata das kardioinhibitorische System (N.vagus) aktivieren! Dadurch entsteht eine Reflexbradykardie. Wenn das Stammhirn nicht mehr perfundiert wird, funktioniert dieser Reflexbogen und die zuvor tiefen Dezelerationen flachen ab.
Frage 5
Wie wirken sich Mitschieben und Fundusdruck innerhalb der Wehe auf das Kind aus?
Antwort 5
- Erhöhung des hypoxischen Stresses
- Schnellere Dekompensation