Zusammenfassung
Ophthalmologische Eingriffe zeichnen sich durch ein niedriges eingriffsbezogenes Risiko aus. Aus anästhesiologischer Sicht sind sie dagegen aufgrund des überproportional hohen Anteils an Kindern und (multimorbiden) älteren Personen häufig trotzdem sehr anspruchsvoll. Hinzu kommt, dass intraoperativ kein unmittelbarer Zugang zum Kopf möglich ist und plötzliche intraoperative Patientenbewegungen (bspw. bei inadäquater Narkosetiefe) zu schwerwiegenden Schäden am operierten Auge führen können.
Die Auswahl des Anästhesieverfahrens erfolgt in enger Absprache mit der operierenden Fachabteilung. Viele Eingriffe können ambulant und in Lokalanästhesie (ggf. mit zusätzlicher Analgosedierung) durchgeführt werden. Eine Allgemeinanästhesie ist insb. bei eingeschränkter Lagerungs- und Kooperationsfähigkeit notwendig.
Eine typische intraoperative Komplikation in der Augenheilkunde ist der okulokardiale Reflex. Dieser kann zu einer hämodynamisch relevanten Bradykardie führen und eine medikamentöse Therapie mit Atropin erforderlich machen. Aufgrund des geringen operativen Traumas gestaltet sich die postoperative Phase häufig problemlos, eingriffsabhängig sind jedoch ein erhöhtes PONV-Risiko (insb. nach pädiatrischer Augenmuskelchirurgie) sowie spezifische Anforderungen an die Lagerung (insb. nach Vitrektomie) zu beachten.
Anatomische und physiologische Grundlagen
Anatomische Grundlagen
Bulbus oculi
- Grundlegender Aufbau
- Funktionelle Unterteilung
- Lichtbrechender Apparat
- Lichtwahrnehmender Apparat
- Konjunktiva (Bindehaut): Verbindung der Augenlider mit dem Bulbus oculi
- Palpebrae (Augenlider): Schutz des Bulbus oculi vor mechanischer Schädigung und Austrocknung
Augenmuskeln
- Äußere Augenmuskeln: Vermittlung der Bulbusmotilität
- Innere Augenmuskeln: Steuerung der Pupillenweite und Akkommodation (Auge)
- Muskeln des Augenlids
Gefäßversorgung
- Arterielle Versorgung: A. carotis interna → A. ophthalmica
- Venöser Abfluss: V. ophthalmica superior und inferior → Sinus cavernosus
Physiologische Grundlagen
Augeninnendruck [1][2]
- Definition: Druck im Inneren des Bulbus oculi
- Aufrechterhaltung durch das Kammerwasser
- Siehe auch: Kammerwasserproduktion
- Normbereich: 10–21 mmHg [3][4]
- Anästhesiologische Relevanz: Akuter perioperativer Anstieg des Augeninnendrucks
- Mögliche Ursachen
- Laryngoskopie und endotracheale Intubation
- Husten, Pressen oder Würgen
- Behinderung des venösen Abflusses
- Verwendung von Succinylcholin [5][6]
- Verwendung von Ketamin [7][8]
- Mögliche Folgen
- Verschluss der A. centralis retinae mit nachfolgender retinaler Ischämie
- Austritt von Augeninhalt bei chirurgischer oder traumatischer Eröffnung des Bulbus oculi
- Mögliche Ursachen
Perioperatives Husten, Pressen oder Würgen (bspw. bei inadäquater Narkosetiefe) kann zu einem Anstieg des Augeninnendrucks um bis zu 30–40 mmHg führen!
Typische Eingriffe
Refraktive Hornhautchirurgie
- Beispielhafte Indikationen
- Besonderheiten
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
- Sehr kurzer und typischerweise ambulant durchgeführter Eingriff
- Durchführung typischerweise in Lokalanästhesie
Kataraktchirurgie
- Beispielhafte Indikationen
- Kataraktbedingte Funktionseinbußen
- Drohendes phakolytisches Glaukom
- Besonderheiten
- Relativ kurzer (meist ≤30 min) und häufig ambulant durchgeführter Eingriff
- Durchführung typischerweise in Lokalanästhesie (ggf. mit zusätzlicher Analgosedierung) [11]
- Sonderfall: Kongenitale Katarakt [12]
- Mögliche Assoziation mit syndromalen Erkrankungen beachten
- Durchführung der Kataraktchirurgie primär in Allgemeinanästhesie
Glaukomchirurgie [13]
- Beispielhafte Indikationen
- Chronisches Glaukom
- Akuter Winkelblock
- Besonderheiten
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
- Verbesserung des Kammerwasserabflusses
- Verminderung der Kammerwasserproduktion
- Durchführung ggf. in Kombination mit Kataraktchirurgie
- Sowohl Allgemeinanästhesie als auch Lokalanästhesie möglich [14]
- Weiteren Anstieg des Augeninnendrucks durch Anästhesiemaßnahmen unbedingt vermeiden
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
Keratoplastik [15]
- Beispielhafte Indikationen
- Hornhautdystrophie (bspw. FECD)
- Fortgeschrittener Keratokonus
- Perforiertes Hornhautulkus
- Besonderheiten
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
- Perforierende Keratoplastik (PKP, pKPL)
- Anteriore (DALK) bzw. posteriore lamelläre Keratoplastik (bspw. DMEK, DSEK) [16]
- Durchführung typischerweise in Allgemeinanästhesie
- Bei eröffneter Vorderkammer Austritt von Augeninhalt möglich
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
Vitrektomie
- Beispielhafte Indikationen
- Besonderheiten
- Sehr variable OP-Dauer
- Durchführung typischerweise in Retrobulbäranästhesie oder Allgemeinanästhesie
- Bei Netzhautablösung ggf. Kombination mit eindellenden Verfahren
- Enge interdisziplinäre Absprache bzgl. der postoperativen Lagerung erforderlich
- Wichtiger Einflussfaktor für das operative Ergebnis [17]
- Keine einheitlichen Empfehlungen vorhanden [18]
- Individuelle Patientenfaktoren beachten [19]
Augenmuskelchirurgie [20]
- Beispielhafte Indikationen
- Strabismus concomitans (Begleitschielen)
- Strabismus incomitans (Lähmungsschielen)
- Besonderheiten
- Zunehmender Anteil von älteren Personen [21]
- Sehr variable OP-Dauer
- Erhöhtes Risiko für okulokardialen Reflex
- Durchführung typischerweise in Allgemeinanästhesie
- Insb. bei Kindern hohe Inzidenz von PONV (bis zu 90%) [22]
- Mögliche Assoziation von frühkindlichem Strabismus mit syndromalen Erkrankungen beachten
Augenmuskeloperationen werden zunehmend auch bei älteren Personen durchgeführt!
(Teil)Entfernung des Auges [23]
- Beispielhafte Indikationen
- Maligne Augentumoren
- Schwere Endophthalmitis bzw. Panophthalmitis
- Ausgeprägte traumatische Augenverletzung
- Neovaskularisationsglaukom
- Besonderheiten
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
- Alleinige Entfernung des Bulbus oculi (Enukleation)
- Entfernung des Bulbusinhalts unter Erhalt der Sklera (Eviszeration)
- Entfernung des gesamten Orbitainhalts inkl. Augenmuskeln, Binde- und Fettgewebe (Exenteration)
- Psychosozial (stark) belastender Eingriff
- Durchführung typischerweise in Allgemeinanästhesie
- Erhöhtes Risiko für okulokardialen Reflex
- Verschiedene Varianten je nach Indikation
Präoperative Anamnese und Diagnostik
Allgemeine präoperative Einschätzung
- Für allgemeine Grundlagen der präoperativen anästhesiologischen Einschätzung siehe: Präoperative Evaluation und Aufklärung in der Anästhesiologie
- Für allgemeine Empfehlungen zur (erweiterten) präoperativen Diagnostik sowie zum Umgang mit einer bestehenden Dauermedikation siehe:
- Für eine Übersicht der ophthalmologischen Diagnostik siehe: Untersuchungsmethoden in der Augenheilkunde
Ophthalmologische Eingriffe weisen typischerweise ein niedriges eingriffsbezogenes Risiko auf – Anamnese und klinische Untersuchung sind daher zur präoperativen Einschätzung meist ausreichend! [16][24]
Eine bestehende Therapie mit Antikoagulanzien bzw. Thrombozytenaggregationshemmern muss für ophthalmologische Eingriffe häufig nicht pausiert werden – die finale Entscheidung liegt jedoch bei der operierenden Person! [9][25]
Spezielle präoperative Einschätzung [1][9][16]
- Abklärung von Lagerungs- und Kooperationsfähigkeit
- Anforderungen für ophthalmologische Eingriffe
- Flache Rückenlage
- Stillhalten während der Manipulation am Auge
- Anforderungen für ophthalmologische Eingriffe
- Abklärung der Voraussetzungen für ambulantes Operieren
- Bei syndromaler Erkrankung: Spezielle Empfehlungen für das perioperative Management beachten [26][27]
Ophthalmologische Eingriffe erfordern eine flache Rückenlage und ein Stillhalten während der Manipulation am Auge – nicht alle Personen sind hierzu ohne Sedierung oder Allgemeinanästhesie in der Lage!
Anästhesiologische Besonderheiten
Allgemeine Hinweise [1][9]
- Alters- und Eingriffsspektrum
- Meist Kinder oder alte Personen betroffen, siehe auch:
- Hoher Anteil an kurzen Eingriffen
- Häufig ambulante Durchführung möglich
- Individuelle Prüfung erforderlich
- Siehe auch: Ambulante Anästhesie
- Pädiatrische Eingriffe [25]
- Anästhesiologische Betreuung durch erfahrenes fachärztliches Personal empfohlen (bzw. unter entsprechender Supervision)
- Ambulante Durchführung anstreben (außer bei intraokularen Eingriffen und Augenmuskelchirurgie)
- Nüchternheitsgebot: Besonderheiten bei Lokalanästhesie beachten [25]
- Nicht-injektive Lokalanästhesieverfahren und subkonjunktivale Anästhesie: Keine Nüchternheit erforderlich
- Injektive Lokalanästhesieverfahren: Art und Umfang der Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz individuell festlegen
- Besonderheiten der Narkoseführung
- Intraoperativ kein unmittelbarer Zugang zum Kopf möglich
- Fortschritt des Eingriffs durch anästhesiologisches Personal nur eingeschränkt beurteilbar
- Patientenbewegungen während des Eingriffs unbedingt vermeiden [28]
- Minderperfusionsbedingte Schädigung des N. opticus durch intraoperative Hypotension möglich [29]
- Hoher Stellenwert von PONV-Prophylaxe und adäquater Schmerztherapie
In der Augenheilkunde werden überproportional viele Kinder und alte Personen operiert!
Aufgrund des extrem geringen Risikos für relevante Komplikationen sind bei elektiven ophthalmologischen Eingriffen in Lokalanästhesie Abweichungen vom allgemeinen Nüchternheitsgebot möglich!
Lokalanästhesieverfahren in der Augenheilkunde [29]
Injektive Verfahren
Nicht-injektive Verfahren
Lokalanästhesieverfahren in der Augenheilkunde werden typischerweise durch die operierende Fachabteilung indiziert und durchgeführt!
Auch bei alleiniger Lokalanästhesie ist die Anlage einer peripheren Verweilkanüle sowie die Durchführung eines hämodynamischen Basismonitorings obligat! [25]
Risikofaktoren für starke postoperative Schmerzen nach ophthalmologischen Eingriffen [30]
- Lange Eingriffsdauer
- Junges Lebensalter
- Weibliches Geschlecht
- Übergewicht
- Vorbestehende Schmerzen bzw. medikamentöse Schmerztherapie
- Anamnestische Hinweise auf Depression, Angststörung oder Schlafstörung
Persistierende postoperative Schmerzen trotz adäquater medikamentöser Therapie können auf relevante ophthalmologische Komplikationen hindeuten (bspw. akuter Glaukomanfall oder Hornhautverletzung) und sollten unbedingt mit der operierenden Fachabteilung besprochen werden!
Anästhesiologisches Management: Perforierende Augenverletzungen
Allgemeine Hinweise
- Typischerweise Notfalleingriff in Allgemeinanästhesie
- Je nach Ursache und Ausmaß der Verletzung sehr variable OP-Dauer
- Abklärung möglicher Begleitverletzungen vor der Narkoseeinleitung
- Perioperativen Anstieg des Augeninnendrucks unbedingt vermeiden
Narkoseeinleitung
- Durchführung i.d.R. als Rapid Sequence Induction
- Bei der Präoxygenierung keinen Druck mit der Beatmungsmaske auf das betroffene Auge ausüben
- Prophylaktische Gabe von Lidocain erwägen (Off-Label Use)
- Bevorzugte Verwendung von Rocuronium als Muskelrelaxans
- Sonderfälle
- Fiberoptische Wachintubation: Suffiziente Oberflächenanästhesie zur Vermeidung von Husten und Pressen erforderlich
- Kinder: Bei Nüchternheit inhalative Narkoseeinleitung möglich (sonografische Kontrolle des Mageninhalts erwägen)
Narkoseführung
- Sowohl balancierte Anästhesie als auch TIVA möglich
- Vergleichbarer Einfluss auf den Augeninnendruck
- TIVA vorteilhafter im Hinblick auf das PONV-Risiko
- Durchführung einer PONV-Prophylaxe dringend empfohlen
Narkoseausleitung
- Erneute prophylaktische Gabe von Lidocain erwägen (Off-Label Use)
- Extubation unter Remifentanil erwägen
- Suffiziente postoperative Analgesie sicherstellen, siehe auch:
Spezielle Risiken und Komplikationen
Okulokardialer Reflex [32][33]
- Definition: Abfall von Herzfrequenz und Blutdruck als Folge einer vagalen Stimulation durch Manipulation am Auge
- Reflex insb. im Kindesalter auslösbar
- Klinische Ausprägung interindividuell sehr variabel
- Typische Auslöser
- Druck auf den Bulbus
- Zug an den Augenmuskeln
- Pathomechanismus: Stimulation von Dehnungsrezeptoren des periorbitalen Gewebes bzw. der äußeren Augenmuskeln
- Therapie
- Beendigung der Manipulation am Auge (wichtigste Maßnahme!)
- Gabe von Atropin bei fortbestehender hämodynamisch relevanter Bradykardie
- Erwachsene
- Kinder
- Kardiopulmonale Reanimation bei Asystolie trotz Gabe von Atropin
Wichtigste Maßnahme bei okulokardialem Reflex ist die sofortige Beendigung der Manipulation am Auge!
Bei fortbestehender hämodynamisch relevanter Bradykardie ist die Gabe von Atropin indiziert!
Hirnstammanästhesie [34]
- Definition
- Seltene, aber schwerwiegende Komplikation einer Retrobulbäranästhesie
- Sonderform der systemischen Lokalanästhetika-Intoxikation
- Pathomechanismus: Zentrale Wirkung des Lokalanästhetikums nach akzidenteller Injektion in den N. opticus
- Typische Symptomatik
- Therapie: Symptomatisch