Zusammenfassung
Das Merkel-Zell-Karzinom (MCC) ist ein seltener maligner Hauttumor mit epithelialer und neuroendokriner Differenzierung. Es imponiert typischerweise als schnell wachsender, rötlich-livider, kugelförmiger Tumor. Aufgrund seiner Aggressivität sowie der Komplexität der Diagnostik und Therapie sollte das Management frühzeitig in einem interdisziplinären Tumorboard festgelegt werden. I.d.R. wird eine operative Exzision und adjuvante Strahlentherapie angestrebt, bei Fernmetastasen oder lokal fortgeschrittenen Tumoren sind Immuncheckpoint-Inhibitoren die 1. Wahl. Die Prognose hängt stark vom Stadium ab, wobei die Sentinel-Lymphknotenbiopsie eine wichtige Rolle spielt. Rezidive treten häufig in den ersten 2 Jahren nach Diagnosestellung auf.
Epidemiologie
Ätiologie
- Infektion mit Merkel-Zell-Polyomavirus (MCPyV): Bei >50% der Fälle nachweisbar [4]
- UV-Exposition
- Immunsuppression : Iatrogen oder krankheitsbedingt (z.B. bei hämatologischen Erkrankungen oder Z.n. Organtransplantation)
Pathophysiologie
- Unbekannte Ursprungszelle
- Erhöhte Immunogenität des Tumors [5][6]
- Häufig spontane, z.T. auch komplette Tumorregression
- Gutes Ansprechen auf immunmodulierende Therapien auch in fortgeschrittenen Stadien
Klassifikation
Pathologisch/klinische Stadieneinteilung (pTNM) des Merkel-Zell-Karzinoms | ||||
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Stadium | Primärtumor | Regionäre Lymphknoten | Fernmetastasen | |
0 |
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I |
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II | IIA |
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IIB | ||||
III | IIIA |
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IIIB |
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IV |
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Symptomatik
- Primärtumor: Prall-elastischer, erythematös-livider Nodus mit glatter, glänzender Oberfläche
- Asymptomatisch
- Typischerweise rasch wachsend (über Wochen bis wenige Monate)
- Gelegentlich Teleangiektasien, selten Ulzerationen
- Seltener plaqueartige Varianten
- Lokalisation: Bevorzugt an chronisch sonnengeschädigter Haut
- Kopf-Hals-Bereich (>50% der Fälle)
- Distale Extremitäten (ca. 33% der Fälle)
- Seltener an proximalen Extremitäten, Rumpf und anogenital (<10% der Fälle)
- Metastasierung
- Lokoregionär: Satellitenmetastasen, In-Transit-Metastasen
- Lymphogene Metastasierung
- Hämatogene Fernmetastasierung: Haut, Weichgewebe, Knochen, Lunge, Leber, selten ZNS
Bei jeder 3. Person mit Merkel-Zell-Karzinom liegt bei Diagnosestellung eine klinische oder okkulte Lymphknotenmetastasierung vor!
Diagnostik
Erstuntersuchung
- Anamnese: Andere UV-bedingte Hauterkrankungen
- Körperliche Untersuchung: Inspektion des Tumors und des gesamten Integuments, Palpation der regionären Lymphknotenstationen
- Exzision und histologische Untersuchung: Zur Diagnosesicherung
- Möglichst vollständige Exzision, alternativ Biopsie
Klinisch nicht klar einzuordnende kutane Tumoren sollten bevorzugt vollständig exzidiert und histologisch untersucht werden!
Histopathologie und Immunhistochemie
- Histologische Merkmale: Wenig charakteristisch
- Epitheliale und neuroendokrine Differenzierung
- Infiltration von Dermis und subkutanem Gewebe, häufig auch lymphatische und vaskuläre Invasion
- Hohes Nukleozytoplasma-Verhältnis: Wenig Zytoplasma, runder Zellkern (sog. „small blue round cell tumors“)
- Feines, blasenförmiges Chromatin („salt-and-pepper“-Muster)
- Häufig Mitosen und großflächige Nekrosen
- Immunhistochemische Marker
- CK20: Typischerweise positiv
- Weitere neuroendokrine Marker : Panzytokeratin (z.B. AE1/3), Chromogranin A, NSE, Synaptophysin , INSM1, N-CAM (CD56)
Ausbreitungsdiagnostik (Staging)
- Bildgebung
- Lymphknotensonografie
- Schnittbildverfahren (insb. 18F-FDG-PET/CT oder PET/MRT)
- Sentinel-Lymphknotenbiopsie (SLNE): Bei klinisch und bildgebend unauffälligen Lymphknoten und ausgeschlossener Fernmetastasierung (N0/M0-Situation)
- Klinischer V.a. Lymphknotenmetastasen: Diagnostische Lymphknotendissektion
Differenzialdiagnosen
- Basalzellkarzinom
- Melanom
- Lymphome
- Sarkome
- Hautmetastasen (insb. eines kleinzelligen Lungenkarzinoms (SCLC))
Auswahl immunhistochemischer Marker zur Abgrenzung von Differenzialdiagnosen | ||||
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Marker | MCC | Lymphom | Melanom | SCLC |
CK20 | + | — | — | — |
S100B oder Melan-A | — | — | + | — |
Leukocyte common Antigen (CD45) | — | + | — | — |
Thyroid Transcription Factor 1 (TTF1) | — | — | — | + |
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapie des Primärtumors/Lokalrezidivs bei M0-Situation
- R0-Resektion: Basistherapie
- Sicherheitsabstand: Im Stadium I 1 cm, im Stadium II 2 cm
- Defektdeckung: Mittels spannungsfreier Plastiken, freie Transplantate möglichst vermeiden
- Anschließende SLNE bei klinisch unauffälligem Lymphknotenstatus
- Bei Tumoren im Kopf-Hals-Bereich ggf. funktionelle Neck Dissection
- Bei Kontraindikationen für SNLE oder Patientenwunsch: Primäre Bestrahlung des Lymphabflussgebiets
- Strahlentherapie
- Adjuvante Strahlentherapie des Tumorbetts nach Resektion
- Definitive Strahlentherapie bei Inoperabilität
- Systemische Therapie: Bei lokal fortgeschrittener Erkrankung, die nicht operativ/strahlentherapeutisch kontrollierbar ist
- Alternativen: Elektrochemotherapie, isolierte Extremitätenperfusion, intraläsionales T-VEC
Therapie bei Lymphknotenmetastasen
- Mikrometastasen im Wächterlymphknoten: Therapeutische Lymphknotendissektion oder Strahlentherapie der betroffenen Region
- Klinisch manifeste Lymphknotenmetastasen (M0-Situation): Therapeutische Lymphknotendissektion und/oder Strahlentherapie der betroffenen Region
Therapie bei Fernmetastasen
- Multimodales Konzept: Aus chirurgischer, strahlentherapeutischer und systemischer Therapie mit i.d.R. palliativer Intention
- Chirurgische Resektion: Falls mit vertretbarem Aufwand eine R0-Resektion möglich ist
- Strahlentherapie: Ggf. Bestrahlung der Fernmetastasen, Einzelfallentscheidung
- Systemische Therapie
- Erstlinie: Anti-PD1-Antikörper/Anti-PDL1-Antikörper (z.B. Avelumab, Pembrolizumab , Nivolumab )
- Zweitlinie/Kontraindikation zur Immuntherapie: Chemotherapie
Allen Personen mit fortgeschrittenem MCC soll eine palliativmedizinische Versorgung angeboten werden!
Nachsorge
- Umfang
- Körperliche Untersuchung und Lymphknotensonografie
-
18F-FDG-PET/CT, alternativ Kombination aus Sonografie, CT und MRT
- Im Stadium I–II 1×/Jahr
- Ab Stadium III oder bei unklarem Wächterlymphknoten bei jeder Nachsorge
- Intervalle
- Jahr 1 und 2: Alle 3 Monate
- Jahr 3–5: Alle 6 Monate
- Ab Jahr 6: Bedarfsorientiert
- Bei immunsupprimierten Patient:innen ggf. kürzere Intervalle
Prognose
- Rezidive: Meist in den ersten 2 Jahren nach Diagnose
- 5-Jahres-Überleben: Insg. 50–60%, stark stadienabhängig
- Primärtumor ≤2 cm: 63–75%
- Primärtumor >2 cm: 35–60%
- Lymphknotenmetastasen: 27–52%
- Fernmetastasen: 13–18%
- Negative prognostische Faktoren
- Lymphknoten: Positiver Wächterlymphknoten
- Fernmetastasen: Mehrere betroffene Organsysteme
- Histologische Merkmale: Tumordicke ≥5 mm, Befall von Faszien, Muskeln, Knorpel oder Knochen, unscharfe Begrenzung
- Weitere: Männliches Geschlecht, Primärtumor im Kopf-Hals-Bereich, Immunsuppression
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C44.-: Sonstige bösartige Neubildungen der Haut
- Inklusive:
- Bösartige Neubildung:
- Exklusive: Bösartiges Melanom der Haut (C43.‑), Haut der Genitalorgane (C51–C52, C60.-, C63.‑), Kaposi-Sarkom (C46.‑)
- C44.0: Lippenhaut
- C44.1: Haut des Augenlides, einschließlich Kanthus
- Exklusive: Bindegewebe des Augenlides (C49.0)
- C44.2: Haut des Ohres und des äußeren Gehörganges
- Exklusive: Bindegewebe des Ohres (C49.0)
- C44.3: Haut sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Gesichtes
- C44.4: Behaarte Kopfhaut und Haut des Halses
- C44.5: Haut des Rumpfes
- C44.50: Perianalhaut
- C44.59: Haut sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Rumpfes
- Haut der Brustdrüse
- C44.6: Haut der oberen Extremität, einschließlich Schulter
- C44.7: Haut der unteren Extremität, einschließlich Hüfte
- C44.8: Haut, mehrere Teilbereiche überlappend
- C44.9: Bösartige Neubildung der Haut, nicht näher bezeichnet
- Inklusive:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.