Zusammenfassung
Die Versorgung von Neugeborenen durch Pflegefachpersonen erfolgt i.d.R. auf der Wochenbettstation, wo die Wöchnerin und ihr Kind nach der Geburt betreut werden. Sie beginnt mit der Übernahme von Mutter und Neugeborenem aus dem Kreissaal. Die Pflegefachpersonen müssen über Wissen zur physiologischen Anpassung des Neugeborenen nach der Geburt sowie zu möglichen Pathologien und Notfällen verfügen. Die regelmäßige Überwachung festgelegter Parameter in den ersten Tagen nach der Geburt soll sicherstellen, dass Anpassungsstörungen und angeborene Erkrankungen erkannt werden. Insb. beim ersten Kind werden die Eltern bei der Versorgung des Kindes unterstützt und angeleitet. Ein wichtiger Aspekt der Pflege von Neugeborenen ist außerdem die Stillberatung der Mutter.
Dieses Kapitel beschreibt die Versorgung eines reifen Neugeborenen, das zwischen vollendeter 37. und Ende der 42. Schwangerschaftswoche (SSW) geboren wurde. Für Informationen zur Schwangerschaft und zur Versorgung der Mutter nach der Geburt siehe AMBOSS-Pflegewissen: Schwangerschaft und AMBOSS-Pflegewissen: Wochenbett.
Übernahme aus dem Kreissaal
- Relevante Informationen
- Gestationsalter
- Geburtsdauer
- Geburtsmodus
- Kindliche Geburtsverletzungen
- Erhöhtes Risiko insb. bei Vakuum- oder Zangenextraktion
- Siehe auch: Komplikationen bei Vakuumextraktion
- Siehe auch: Komplikationen bei Zangenextraktion
- Anpassung nach der Geburt
- Insb. APGAR-Score 1, 5 und 10 min nach der Geburt
- Siehe auch: Postnatale Anpassungsstörung
- Risikofaktoren, die eine engmaschigere Überwachung des Neugeborenen im Verlauf erfordern, bspw.
- Mütterliche Besiedelung mit Gruppe-B-Streptokokken (anogenital)
- Vorzeitiger Blasensprung ≥18 h
- Grünes Fruchtwasser
- Mütterliches Fieber
- Mütterliche Erkrankungen während der Schwangerschaft, bspw. Diabetes mellitus
- Medikamenteneinnahme während der Schwangerschaft
- Reifezeichen
- Stillwunsch
Beobachten/Überwachen
- Überwachungsintervall : 1–2×/Schicht [1]
- Atmung
-
Atemfrequenz
- Hand vorsichtig auf den Brustkorb des Neugeborenen unterhalb des Schwertfortsatzes legen
- Über gefühlte Bewegung des Brustkorbs Atemzüge pro Minute zählen
- Normwert: Ca. 40 Atemzüge/min
- Atemmuster: Ggf. periodische Atmung
- Einsatz der Atemhilfsmuskulatur als Zeichen übermäßiger Atemanstrengung
- Nasenflügeln
- Subkostale, interkostale und juguläre Einziehungen
- Pathologische Atemgeräusche: Stöhnen oder „Knorksen“
-
Sauerstoffsättigung
- Bei unauffälligen Neugeborenen nur im Rahmen des Pulsoxymetrie-Screenings 24–48 h nach Geburt
- Wiederholung der Messung bei Werten <96%
-
Atemfrequenz
- Kreislauf
-
Herzfrequenz
- Mit Stethoskop Herz auskultieren, dabei die Herzschläge pro Minute zählen
- Puls am Oberarm an der Arteria brachialis oder in der Leiste an der Arteria femoralis tastbar
- Normwert: 110–180/min [2]
- Blutdruck
- Beim gesunden Neugeborenen keine routinemäßige Messung
- Messung an Arm oder Bein möglich
- Richtige Größe der Blutdruckmanschette essenziell
- Normwerte
- Systolisch: Ca. 50–70 mmHg
- Diastolisch: Ca. 30–45 mmHg
-
Herzfrequenz
- Körpertemperatur
- Temperaturmessung möglichst rektal
- Hygienischen Einwegüberzug für Thermometer verwenden
- Bei rektaler Messung Verletzungsgefahr von Anus und Rektum, deshalb Thermometer sehr vorsichtig einführen!
- Normwert: Körpertemperatur: 36,6–37,3°C rektal gemessen
- Bei Abweichungen
- Umgehende Information des ärztlichen Personals
- Ggf. Maßnahmen zur Erwärmung bzw. Abkühlung
- Bei Unterkühlung: Hautkontakt mit einem Elternteil und/oder wärmere Kleidung anziehen, evtl. Wärmebett
- Bei Überwärmung: Zu warme Kleidung ausziehen
- Engmaschige Kontrollen
- Siehe auch: Postnatale Anpassung des Neugeborenen
Sowohl eine erhöhte als auch eine erniedrigte Körpertemperatur können Zeichen einer Neugeboreneninfektion sein und erfordern die umgehende Information des ärztlichen Personals!
- Aussehen (Hautkolorit, Schleimhäute, Zunge, Lippen, Hand- und Fußflächen)
- Beurteilung bei jeder Pflegemaßnahme
- Physiologisch: Rosig
- Pathologisch: Zyanotisch , ikterisch , blass/grau oder marmoriert
- Stuhlgang
- Regelrechte Ausscheidung von Mekonium
- Verzögerte/ausbleibende Ausscheidung von Mekonium: Möglicher Hinweis auf Morbus Hirschsprung oder Mekoniumileus bei zystischer Fibrose
- Nach Mekoniumausscheidung einige Tage „Übergangsstuhl“ (i.d.R. gelb, braun oder grün), anschließend (Mutter‑)Milchstuhl (i.d.R. gelb)
- Miktion
- Verhalten
- Übergang von physiologischem zu pathologischem Verhalten oft schwierig zu erkennen
- Mögliche Zeichen für Schmerzen und/oder Unwohlsein: Schrilles Schreien, sich nicht beruhigen lassen, ausgeprägte Unruhe, Schreckhaftigkeit, Berührungsempfindlichkeit
- Trinkverhalten
- In den ersten Lebenstagen alle 2–4 h (d.h. 6–12× in 24 h)
- Physiologisch: Kräftiges Saugen, entspanntes Aussehen, gelegentliches Spucken kleinerer Mengen
- Pathologisch: Schwaches Saugen, Erschöpfung , häufiges und/oder schwallartiges Erbrechen größerer Mengen
- Blutzucker
- Regelmäßige Messungen nur bei
- Erhöhtem Risiko für Hypoglykämien
- Symptomen einer Hypoglykämie
- Erste Messung i.d.R. im Alter von 2–3 h
- Normwert altersabhängig
- Alter 2–48 h: Blutzuckerwert >35–45 mg/dL (>1,9–2,5 mmol/L)
- Alter >48 h: Blutzuckerwert >45 mg/dL (>2,5 mmol/L)
- Siehe auch: Hypoglykämie beim Neugeborenen
- Regelmäßige Messungen nur bei
Hypoglykämien können zu zerebralen Neugeborenenanfällen führen!
- Gewicht
- Bestimmung des Geburtsgewichts im Kreissaal (Normwert ca. 3–3,5 kg)
- Danach regelmäßige Kontrollen
- In den ersten Lebenstagen physiologische Gewichtsabnahme (bis max. 10% des Geburtsgewichts)
- Typischer Verlauf
- Gewichtsabnahme bis zum 3.–4. Lebenstag
- Gewichtszunahme ab dem 5. Lebenstag
- Erreichen des Geburtsgewichts spätestens bis zum 14. Lebenstag
- Bei pathologischer Gewichtsabnahme: Information an ärztliches Personal, Zufüttern erwägen
- Körpergröße und Kopfumfang
- Werden i.d.R. nur 1× im Kreissaal bestimmt, danach in größeren Abständen zur Entwicklungskontrolle
- Normwert Körpergröße: Ca. 50 cm
- Normwert Kopfumfang: Ca. 35 cm
- Symptome ggf. vorliegender Verletzungen im Rahmen von Geburtstraumen
- Bilirubin
- Immer bei sichtbarem Ikterus
- Lebensalter <24 h: Bestimmung im Blut notwendig
- Lebensalter ≥24 h: Transkutane Bilirubinmessung (TcB) ausreichend
- Bei erhöhtem Wert Information an ärztliches Personal
- Siehe auch AMBOSS-Pflegewissen: Icterus neonatorum
Pflegerische Maßnahmen
Erstmaßnahmen nach der Geburt
- Zügiges Abtrocknen und Einwickeln in vorgewärmte Handtücher
- Entfernen grober Verunreinigungen
- Einmassieren der Käseschmiere
Weitere Maßnahmen im Verlauf
- Wärmeerhalt
- Neugeborenes so wenig wie möglich entkleiden
- Bei Pflegemaßnahmen am Wickeltisch ggf. Wärmelampe verwenden
- Pflegemaßnahmen zügig und bedarfsgerecht durchführen
- Luftzug vermeiden
- Raumtemperatur tagsüber zwischen 20 und 22°C halten
- Bei sichtbarem Schwitzen ggf. Kleidung und/oder Decken reduzieren und auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten
- Wickeln
- Vorbereitung aller benötigten Materialien
- Unterlage, bspw. ein Handtuch
- Reinigungstücher
- Frische Windeln
- Ggf. Hautpflegeprodukte
- Ggf. frische Kleidung
- Kleidung öffnen
- Windel öffnen
- Ggf. grobe Verunreinigung durch Stuhlgang im vorderen Genitalbereich durch Wischen von vorn nach hinten entfernen
- Neugeborenes auf die Seite drehen
- Windelbereich mit Reinigungstüchern oder einem Waschlappen und warmem Wasser reinigen
- Hautinspektion, siehe auch: Windeldermatitis
- Gereinigtes Hautareal trocknen lassen oder trockentupfen
- Frische Windel unterlegen
- Neugeborenes zurückdrehen
- Windel schließen
- Kleidung anziehen/schließen
- Alte Windel entsorgen
- Vorbereitung aller benötigten Materialien
Neugeborene sollten nie unbeaufsichtigt auf dem Wickeltisch liegen gelassen werden!
Insb. bei Mädchen immer von vorn nach hinten wischen, um eine Keimverschleppung aus dem Analbereich zum Harnröhreneingang zu vermeiden!
- Hautpflege
- Nur zusatzfreie, hypoallergene Pflegeprodukte verwenden
- Pflegeprodukte nur bei tatsächlichem Bedarf wie trockener Haut verwenden
- Produkte vorsichtig und dünn auftragen
- Nagelpflege
- Nägel sollten in den ersten Lebenswochen i.d.R. nicht geschnitten werden, da sie noch sehr weich sind
- Deutlich die Fingerkuppen überragende Nägel können zur Vermeidung von Gesichtsverletzungen ggf. sehr vorsichtig gefeilt werden
- Verwenden von speziellen Babynagelscheren, -knipsern oder -feilen empfohlen
- Baden
- Benötigte Utensilien wie Handtuch, frische Kleidung und frische Windel bereitlegen
- I.d.R. in einer Babybadewanne
- Körperwarmes Wasser verwenden (36°–37°C), Temperatur mit Thermometer prüfen
- Kein heißes Wasser nachgießen oder nachlaufen lassen, Verbrühungsgefahr!
- Badedauer 5–20 min, um Auskühlung vorzubeugen
- Baden max. 1–2×/Woche, um Austrocknung der Haut vorzubeugen, Reinigung mit Waschlappen ausreichend
- Keine Zusätze ins Badewasser geben
- Idealer Badezeitpunkt ist mit Abstand zum Essen und Schlafen
Neugeborene dürfen nie unbeaufsichtigt im Wasser oder in der Nähe von Wasser sein!
- Haare
- Erstes Haarewaschen i.d.R. beim ersten Baden
- Haare möglichst erst gegen Ende des Badens waschen, um Auskühlung über den Kopf zu vermeiden
- Kein Shampoo für die Haarwäsche notwendig
- Bei starker Verunreinigung von der Geburt Haare vor dem ersten Baden ggf. mit Waschlappen und warmem Wasser reinigen
Nabelpflege
- Grundsätzliches
- Nabelschnur wird nach dem „Auspulsieren“ im Kreissaal mit zwei Klemmen abgeklemmt
- Durchtrennung der Nabelschnur zwischen den Klemmen
- Kindnahe Kunststoffklemme und der Rest der Nabelschnur verbleiben am Nabel des Neugeborenen
- Nabelschnurrest trocknet aus und fällt von selbst ab
- Nabelschnurrest sauber und trocken halten, um Infektionen zu verhindern
- Nicht am Nabelschnurrest ziehen, um Einrisse zu vermeiden
- Klemme verbleibt nach der Geburt einige Tage am Nabelschnurrest, um einer Blutung aus den Nabelschnurgefäßen vorzubeugen
- Anleitung der Eltern zur selbstständigen Nabelpflege im Verlauf
- Keine einheitliche Empfehlung zum Baden bei bestehendem Nabelschnurrest, hausinterne Standards beachten
- Durchführung der Nabelpflege
- Sorgfältige Händedesinfektion, Handschuhe anziehen
- Reinigung des Nabels und der umliegenden Haut mit sterilem NaCl 0,9% und sterilen Kompressen
- Wisch-und-Weg-Technik verwenden
- Inspektion des Nabelschnurrests, des Nabels und der umliegenden Haut auf Infektionszeichen
- Rötung der umliegenden Haut
- Schmierig belegter Nabelschnurrest
- Unangenehmer Geruch
- Sekretaustritt
- Information des ärztlichen Personals bei Infektionszeichen
- Bei Infektionszeichen (z.B. Rötung) ggf. regelmäßige Reinigung mit Schleimhautdesinfektionsmittel (nach ärztlicher Anordnung)
- Bei der halboffenen Nabelpflege wird eine Kompresse locker zwischen Klemme und Haut gelegt, bei der offenen Nabelpflege wird hierauf verzichtet, hausinterne Standards beachten
- Vor dem Anlegen einer neuen Kompresse Handschuhe ausziehen und Hände desinfizieren
- Windel vorn so umklappen, dass der Nabelschnurrest nicht von der Windel bedeckt ist
- Nabel trocknen lassen, bevor Kleidung angezogen wird
Ernährung
- Siehe: Stillen für ausführliche Informationen zum Stillvorgang und möglichen Komplikationen
- Siehe: Ernährung im Kindes- und Jugendalter für ausführliche Informationen zu Muttermilch, Formulaernährung und Flüssigkeitsbedarf
Spezielle pflegerische Maßnahmen
- Neugeborenenscreening
- Durchführung der kapillären Blutentnahme durch Pflegefachkraft während des stationären Aufenthaltes nach der Geburt, alternativ ambulant in der pädiatrischen Praxis
- Alternativ: Assistenz bei der ärztlich durchgeführten venösen Blutentnahme
- Zeitpunkt: 36–72 h nach der Geburt
- Durchführung: Aufbringen von kapillärem (i.d.R. aus der Ferse) oder venösem Blut auf ein Spezialfilterpapier mit anschließendem Versand an ein qualifiziertes Labor
- Dokumentation im Untersuchungsheft
- Vitamin-K-Prophylaxe
- Vorbereitung und ggf. Assistenz bei den Kindervorsorgeuntersuchungen
- Sicherstellung von und Beratung zu Schlafumgebung und -position (zur SIDS-Prophylaxe)
- Eigenes Babybett mit flacher, fester Matratze
- Rückenlage
- Schlafsack in geeigneter Größe
- Freie Objekte vermeiden (z.B. Kissen, Decken, Nestchen)
- Siehe auch: SIDS-Prophylaxe
- Ggf. Neugeborenen-Hörscreening
Beratung
- Beratung zu vielen Themen kann durch ärztliches Personal, Hebammen und Pflegefachpersonen erfolgen
- Beobachtung der Eltern im Umgang mit ihrem Kind, um besonderen Beratungsbedarf zu erkennen
- Information des ärztlichen Personals bei starker Überforderung der Eltern im Umgang mit dem Neugeborenen und insb. bei Sorge um die Sicherheit des Neugeborenen
- Ggf. Besprechung im interdisziplinären Team (insb. mit ärztlichem Personal und Sozialdienst), um gezielte und bedarfsgerechte Hilfsangebote machen zu können
- Insb. vor der Entlassung anbieten, Themen (erneut) zu erklären
- Idealerweise sind beide Eltern bei Beratungsgesprächen anwesend
- Häufig ist zu vielen Themen Informationsmaterial, bspw. in Form von Flyern, auf Station vorhanden
- Schwerpunkte der pflegerischen Beratung der Eltern vor der Entlassung decken sich mit der ärztlichen Aufklärung im Rahmen der 2. Kindervorsorgeuntersuchung, siehe auch: U2
Mögliche Besonderheiten beim Neugeborenen
- Neonatale Brustdrüsenschwellung
- Hauterscheinungen: Nach der Geburt i.d.R. harmlos, teilweise durch die postnatale Hormonumstellung bedingt
- Siehe auch: Naevus flammeus (z.B. „Storchenbiss“): Rote Flecken, zurückzuführen auf eine Erweiterung der Kapillargefäße unterhalb der Epidermis, häufig im Nacken lokalisiert, meist spontane Rückbildung
- Siehe auch: Neugeborenenexanthem
- Siehe auch: Milia neonatorum
- Siehe auch: Neugeborenenakne
- Siehe auch: Kongenitale dermale Melanozytose
- Siehe auch: Caput succedaneum
- Siehe auch: Kephalhämatom